Vor fast 40.000 Jahren, zu Beginn der Jüngeren Altsteinzeit, gehörte die Schwäbische Alb zum Lebensraum der frühen anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens). In kleinen Gruppen durchstreiften sie die von der Eiszeit geprägten Täler auf den Spuren der Tiere wie Mammut, Rentier, Wisent und Wildpferd. Zeugnisse ihres Aufenthalts blieben in den Höhlen erhalten, Reste von Feuerstellen, Werkzeuge, Waffen und Schmuck aus Stein, Knochen, Geweih und Elfenbein.
In vier Höhlen wurden außerdem kleine Skulpturen entdeckt. Die mit Steingeräten aus Mammutelfenbein geschnitzten Figuren zeigen das für die Jagd wichtige Großwild, aber auch kleine Tiere wie Vögel oder Fische. Viele Figuren stellen die gefährlichsten Tiere wie Höhlenbären oder Höhlenlöwen dar. Sie alle repräsentieren die weltweit ältesten Objekte beweglicher Kunst.
Die größte und spektakulärste Elfenbeinfigur ist der Löwenmensch, ein Fabelwesen aus Tier und Mensch. Bruchstücke der Skulptur waren in der Stadel-Höhle am Hohlenstein im Lonetal entdeckt worden, am letzten Tag der Ausgrabungskampagne 1939, die wegen des Beginns des Zweiten Weltkriegs abgebrochen wurde. Erst über 30 Jahre später waren die Elfenbeinstücke als Teile einer Figur erkannt worden, weitere zwei Jahrzehnte dauerte es, bis die Statuette professionell restauriert wurde. Dennoch fehlten weiterhin wichtige Partien der Figur.
Im Jahr 2009 konnte der abenteuerlichen Geschichte des Löwenmenschen überraschend ein weiteres Kapitel hinzugefügt werden. Während neuer Ausgrabungen in der Stadel-Höhle gelang einem Archäologen-Team die Wiederentdeckung der Fundstelle der Statuette aus dem Jahr 1939. Sie konnten dort zahlreiche weitere Fragmente der Figur bergen. In der Folge konnte der Löwenmensch in einem äußerst aufwendigen Restaurierungsprojekt in den Jahren 2012/13 weiter vervollständigt werden. Die nunmehr aus über 300 Bruchstücken zusammengesetzte Figur ist fast komplett und offenbart viele weitere Details, die nicht nur unser Wissen über ihre Herstellung ergänzen, sondern auch neue Überlegungen zu ihrer Deutung und ihrem möglichen Gebrauch erlauben.
Die meisterhaft aus dem Stoßzahn eines Mammuts geschnitzte Skulptur verbindet tierische mit menschlichen Attributen. Tierisch ist der Löwenkopf, der langgestreckte Körper und die Arme in Form von Läufen und Pranken einer Großkatze, menschlich die Beine und Füße sowie die aufrechte Haltung. Neue Beobachtungen während der Restaurierung legen den Schluss nahe, dass die Statuette als männlich gekennzeichnet war. In jedem Fall verweist die fantastische Darstellung des Löwenmenschen als einzigartiges Relikt in die spirituelle Welt der Menschen der letzten Eiszeit, auch wenn wir ihr sicher komplexes Weltbild nicht mehr entschlüsseln können.